Das Wirtschaftssystem der SS

Artikel von Klemens Hogen-Ostlender

Am Tor des Konzentrationslagers Dachau stand der Spruch „Arbeit macht frei“.  So lautete auch der Titel eines 1873 erschienenen Romans des deutschnationalen Schriftstellers Lorenz  Diefenbach. Darin wird ein notorischer Spieler und Betrüger  durch geregelte Arbeit geläutert und gebessert. Das entsprach genau der  nationalsozialistischen Propaganda über die Konzentrationslager. Demnach sollten die Häftlinge dort durch  Arbeit politisch „erzogen“ werden, damit sie, falls sie „besserungsfähig“ waren, in die nationalsozialistische Gesellschaft aufgenommen werden könnten. Ein anderes  Motto war im KZ  auf das Dach des Hauptgebäudes  gemalt – ein Zitat von Heinrich Himmler, bei Gründung  des Lagers Polizeipräsident von München, später Chef der deutschen Polizei  und Reichsführer SS: „Es gibt einen Weg zur Freiheit.  Seine Meilensteine heißen: Gehorsam – Fleiß – Ehrlichkeit – Ordnung – Sauberkeit – Nüchternheit – Wahrheit – Opfersinn und Liebe zum Vaterland.“ So zynisch diese Sätze auch sind, so verrät der Spruch am Tor doch erkennen, dass es im KZ-System nicht boshaft genug war, Menschen einzusperren, zu erniedrigen und zu quälen. Sie mussten  auch noch Sklavenarbeit leisten, die in zahllosen Fällen dazu führte, dass sie sich buchstäblich zu Tode schufteten. In Dachau wurde erprobt, was später in anderen Lagern im großindustriellen Stil als „Vernichtung durch Arbeit“ vollzogen wurde.

Entstehung und Aufbau

Dass gerade in Dachau das „Musterlager“ errichtet wurde, das zum Vorbild für alle anderen KZ werden sollte, war kein Zufall. Das fast zwei Quadratkilometer große Gelände einer ehemaligen königlich-bayerischen Pulver- und Munitionsfabrik lag seit Ende des Ersten Weltkriegs brach. Die meisten Gebäude waren bereits abgerissen. Heinrich Himmler kannte zudem das Gelände, seit er als gelernter Landwirt 1922/23 im benachbarten Schleißheim bei der Düngemittelfabrik Stickstoff-Land GmbH gearbeitet hatte. Bereits fünf Tage nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ begannen die Arbeiten zur Einrichtung des „Muster-Gefangenenlagers“. Sechs Wochen später trafen die ersten Häftlinge ein. Fünf Jahre lang wurde die wachsende Zahl der Insassen für Instandsetzungen und Aufbau der Infrastruktur des Lagers eingesetzt. Bereits 1933 entstanden zahlreiche Handwerksbetriebe, darunter Werkstätten für Schreiner, Schlosser, Schuster  und Schneider. Ebenfalls schon früh wurden eine Bäckerei und eine Metzgerei errichtet. Nicht die Einrichtung des Lagers an sich, sondern diese Schaffung von Lagerbetrieben sorgte bald für Proteste in der Umgebung. Der Handwerkskammer Oberbayern war vor allem die Lebensmittelproduktion durch Häftlinge ein Dorn im Auge, hatte sie doch zur Folge, dass Bäckern und Metzgern außerhalb des Lagers Aufträge verloren gingen.

Sämtliche Beschwerden blieben erfolglos. Zielstrebig ging der Ausbau des Lagers immer weiter. Mit der Arbeitskraft der Insassen wurden eine Kaserne für die SS-Totenkopfverbände, Küchen für SS-Angehörige und -Führer, Kantinen, Bäder, ein Friseurbetrieb, Wohnräume für ledige SS-Offiziere und  ein Vorratslager für die Ausrüstung für die gesamte SS geschaffen. 1936/37 entstanden Schweine- und Hühnerställe, eine Erweiterung des Häftlingslagers, KfZ-Werkstätten, Garagen und Tankstellen, eine neue Schlosserei, eine Sportanlage nebst Tennis- und Handballplätzen und ein Krankenrevier für SS-Angehörige mit Schwesternwohnheim, OP-Sälen, Röntgen- und Zahnstation. 1937 wurden die Baracken des Häftlingslagers komplett abgerissen und durch neue ersetzt, die bis zum Ende des Krieges genutzt wurden. Die Häftlinge mussten außerdem Wachtürme und „bessere“ Befestigungsanlagen, Pferdeställe sowie ein neues Kasino bauen. Der Komfort der SS-Unterkünfte wurde erhöht. Die Porzellanmanufaktur Allach zog ins Lager ein.

1937 wurde die „Gemeinnützige Wohnungs- und Heimstätten GmbH Dachau“ gegründet. Sie war nötig, weil der Etat der SS-Totenkopfverbände für das laufende Wirtschaftsjahr nur Mittel für einen Teil der geplanten Baumaßnahmen vorsah. Die GmbH war an den Etat nicht gebunden und konnte sich Kredite besorgen. Außerdem musste sie sich nicht an die bürokratischen Verwaltungsvorschriften von Staat und NSDAP halten. Im ersten Bauabschnitt am weitläufigen Theodor-Eicke-Platz entstanden  bis zum März 1938 26 Wohnungen, ein Lebensmittelladen, eine Bäckerei, eine Gastwirtschaft und ein Postraum. 29 weitere Wohnungen wurden am Theodor-Eicke-Platz und in der „Straße der SS“ drei Monate später fertig. Theodor Eicke, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, war 1933/34 zweiter Kommandant des Konzentrationslagers Dachau und danach als Inspekteur der Konzentrationslager maßgeblich am Aufbau des KZ-Systems beteiligt. Er starb 1943 an der Ostfront, als sein Flugzeug von russischer Flak abgeschossen wurde. Sechs der 18 Häuser beider Bauschnitte wurden weitgehend von KZ-Häftlingen errichtet, die übrigen von Privatfirmen. Die Häftlinge mussten auch den Straßenbau unter menschenunwürdigen Bedingungen bewerkstelligen. Im dritten Bauabschnitt wurden in der Straße „Am Geisterwald“ im Mai 1939  fünf Gebäude mit 20 weiteren Wohnungen bezugsfertig. Die wirtschaftlichen Aussichten für die GmbH waren trotzdem schlecht. Die SS-Angehörigen bezahlten nur geringe Mieten, die Gesellschaft musste jedoch hohe Zinszahlungen unter anderem an die Sparkasse Dachau-Indersdorf leisten. Die SS beschloss daher 1939, die gesamte im Eigentum der GmbH befindliche Wohnanlage wieder an das Reich zu verkaufen. Das gelang allerdings erst 1942/43.  Die SS-Siedlung lag außerhalb des ummauerten KZ-Bereiches. Sie war öffentlich zugänglich und auch in den Stadtplänen verzeichnet .In den 1980er Jahren wurden die alten Gebäude abgerissen. Die Stadt Dachau ließ den ehemaligen Theodor-Eicke-Platz, der 1946 in Kreuzplatz (der heutige JF-Kennedyplatz) umbenannt wurde, mit neuen Wohnhäusern überbauen, die heute bis an die Außenmauer der KZ-Gedenkstätte reichen. Nur im Nordwesten sind noch Reste alter Bordsteine des ursprünglichen Platzes erhalten, auf dessen Areal heute auch eine Straßenmeisterei, ein Kindergarten und ein Sportplatz liegen. Die Straße der SS heißt heute Straße der KZ-Opfer.

Textilherstellung

Ein weiterer Schwerpunkt der SS-Wirtschaft von Dachau entwickelte sich aus den Schneiderwerkstätten des Konzentrationslagers, die schließlich zum Konzern mit Niederlassungen in mehreren anderen Lagern wurden. Erster Produktionsschwerpunkt war die Versorgung der stark expandierenden Waffen-SS mit Uniformen. Auch die  gestreifte Häftlingskleidung mussten die zu diesem Arbeitskommando eingeteilten Lagerinsassen anfertigen. Außerdem besserten sie durch Kampfhandlungen beschädigte Uniformen aus, und im wachsenden Umfang wurde in späteren Jahren auch  Kleidung von Menschen, die in den Vernichtungslagern ermordet worden waren, verwertet. Das Bekleidungswerk der Waffen-SS in Dachau gründete 1940 die „Gesellschaft für Textil- und Lederverarbeitung mbH“, kurz „Texled“, deren bedeutendste Niederlassung die 20 Hektar umfassenden Textilwerkstätten beim KZ Ravensbrück als Zulieferbetrieb für Dachau waren. Die Historikerin Sigrid Jacobeit sieht sogar den Einsatz von weiblichen Häftlingen als billige Arbeitskräfte als maßgeblichen Grund für die Einrichtung des Konzentrationslagers Ravensbrück an.

Die Texled war einer der wenigen SS-Betriebe, die profitabel arbeiteten. Im KZ Dachau sollten eine Schneiderei und eine Schumacherei als „Versuchsbetriebe“ erproben, wie man mit mehrheitlich ungelernten Häftlingen die Anfertigung von Textilien, vor allem von Uniformteilen für SS-Verbände, im großen Maßstab organisieren könnte. Die Erkenntnisse wurden dann in anderen Standorten der Texled, vor allem in Ravensbrück, umgesetzt. Das Bekleidungswerk in Dachau befasste sich vor allem mit der Beschaffung von Kleidungsstücken, lagerte sie in riesigen Beständen und verteilte sie. Wie es in der Produktion zuging, schilderten die Ravensbrücker Häftlinge Alfredine Nenninger und Dagmar Hajkova nach dem Krieg: „Wer zum ersten Mal diese große Halle betrat, fühlte sich in eine Art Hölle oder Irrenanstalt versetzt. Abgesehen vom Lärm der Maschinen und der Stickluft die einem den Atem nahm (es gab fast keine funktionierende Ventilation) hörte man an allen Ecken und Enden das Gebrüll der SS-Leute und Aufseherinnen und wurde Zeuge der unbeschreiblichsten Prügelszenen. An den Nähmaschinen sah man nur bleiche, angstvoll blickende, rastlos arbeitende Frauen. Je näher der schlagende SS-Mann kam, umso fahriger und unruhiger wurden diese gequälten Menschen […] Damit die Frauen ihre Aufgaben erfüllen konnten, mussten sie jede Sekunde nutzen. Sie durften sich nicht erlauben, eine unnötige Bewegung zu tun. Besonders in den frühen [Morgen] Stunden der [Nacht] Schicht  waren sie so ermüdet, dass sie kaum die Augen offen halten konnten. Es genügte jedoch, für eine Minute einzunicken, und die rohe Hand des Aufsehers schlug gleich den nichtsahnenden Kopf von hinten auf die Spule der Maschine nieder“. Das ungeschriebene Motto der Betriebe war bereits in der Anfangszeit in Dachau „Pensum, Pensum“. Ein Beispiel verdeutlicht das. Ursprünglich wurde am Fließband die Produktion von 120 Tarnjacken pro Zwölf-Stunden-Schicht verlangt. Schon das war anspruchsvoll. Später sollten 220 Jacken hergestellt werden, obwohl die Schicht wegen Strommangels auf acht Stunden verkürzt werden musste.  Pro Stunde wurde also fast die dreifache Stückzahl verlangt.

Der vorübergehend im KZ Dachau inhaftierte SPD-Politiker Fritz Ecker notierte nach seiner Entlassung im Januar 1934 über die Anfangsphase der Textilproduktiom: „In Dachau hat man Handwerkstätten, die jeden Großbetrieb in den Schatten stellen. Von Gefangenen, die dafür nur miserable Nahrung erhalten,  werden Zivilanzüge, Uniformen, Knabenkleidung, Wildlederhosen, Kletterwesten, Breeches-Hosen, neue Drillichanzüge in Massen gefertigt.  In der Schreinerei wurden allein während meines Lageraufenthaltes  tausende von Schränken für Militärkasernen hergestellt. Dazu Büroeinrichtungen, Wohnungsmöbel, sogar neue Brautausstattungen. Monatelang wurde in der Schreinerei auch an Sonntagen gearbeitet, monatelang dauerte die Arbeitszeit in zwei Schichten von 6 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts. Als moderne Maschinen eingetroffen waren, haben die Schreiner von morgens 7 Uhr bis nachts 10 Uhr arbeiten müssen, unterbrochen nur von einer  anderthalbstündigen Mittagspause“. 1939 wurden in den Betrieben durchschnittlich 580 Häftlinge eingesetzt, davon 370 in der Schreinerei, 44 in der Schlosserei, 140 in der Schneiderei, 16 in der Schusterei und zehn in der Sattlerei. Die Bäckerei stellte 1939 1,14 Millionen Kommissbrote her, die Fleischerei verarbeitete 1570 Schweine, 540 Rinder und 300 Kälber.

Plantage

Als Obersturmbannführer Martin Weiß für seine junge Verlobte Lisa Ostern 1943 zur Hochzeit einen Brautstrauß aus Gladiolen binden ließ, musste der damalige Kommandant des Konzentrationslagers Dachau ihn nicht aus einem Blumenladen holen. Gladiolen wuchsen zu zehntausenden gleich neben dem KZ auf der „Plantage“. Und Obergruppenführer Oswald Pohl, Chef des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, schleppte von den riesigen Anbauflächen körbeweise Honig und „Deutschen“ Pfeffer zum Privatgebrauch in seine Berliner Wohnung. Im Zuge der deutschen Bestrebungen, sich durch Anbau von Heil- und Gewürzkräutern unabhängig von ausländischen Medikamenten und Gewürzen zu machen, wurde der Gartenbaubetrieb zur Erzeugung von Heilkräutern und Gewürzen 1937 eingerichtet. Sein Gelände,  das heutige Gewerbegebiet „Schwarzer Graben“, war mit zwei Quadratkilometern so groß wie der gesamte heutige Stadtteil Dachau Ost. Drei Jahre zuvor war in Heidelberg die Arbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde gegründet worden, die sich für eine stärkere Eigenversorgung Deutschlands einsetzte. Wie andere führende Nationalsozialisten hatte Heinrich Himmler eigene Vorstellungen von „naturgemäßer Heil- und Lebensweise“. Der Diplomlandwirt drängte schon kurz nach der „Machtergreifung“ darauf, dass Deutsche ihren Lebensmittelkonsum allmählich auf eine Verpflegung ähnlich der römischen Soldatenverpflegung umstellten, die alle Vitamine enthalte und außerdem billig sei. Für diesen Zweck wurde auch die Deutsche Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung gegründet, die abseits „jüdischer“ wissenschaftlichen Methoden Modelle entwickeln sollte, wie die deutsche  Volksgesundheit verbessert werden könnte. Angelehnt an Rudolf Steiners Anthroposophie wurde eine nationalsozialistische Variante des organisch-dynamischen Landbaus praktiziert. Das erfüllte nebenbei den Zweck, diese Strömungen politisch für das Regime zu gewinnen. Die der Arbeitsgemeinschaft angehörenden Autoren  des Buchs „Allgemeine Heilpflanzenkunde“ setzten sich offen für den Einsatz von „unfreiwilligen Arbeitskräften“  beim Anbau von Heilpflanzen ein. Die arbeitsintensive Aufzucht dieser Pflanzen wäre ohne den Einsatz der billigen Arbeitskraft von Häftlingen bei normalen Löhnen völlig unrentabel gewesen.

Die ersten Anbauflächen lagen nicht in der Nähe des Lagers, weil sich der dortige sumpfige Boden als ungeeignet erwies. Man wich in den Nachbarort Schleißheim aus. Auch nach der Trockenlegung des Dachauer Geländes durch lange Gräben, die Häftlinge hatten ausheben müssen, war der Boden unzureichend für die meisten Arten landwirtschaftlicher Nutzung. Deshalb wurden die für den Kräuteranbau vorgesehenen Flächen jenseits der heutigen Alten Römerstraße mühsam weiter kultiviert, Tümpel zugeschüttet und eine Humusschicht auf dem Moorboden aufgetragen. Im nächsten Frühjahr war das Gelände so weit, dass der Anbau von Heilpflanzen beginnen konnte. Baulich entstanden die Gewürzmühle, Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude und Gewächshäuser. Unter den Häftlingen, die dort arbeiten mussten, waren viele hundert Insassen des Priesterblocks. Viele von ihnen gingen unter der brutalen Behandlung durch die SS-Angehörigen zugrunde. Ein zweiter Schwerpunkt des Anbaus war die Herstellung von Gewürzen.  Dazu gehörte in erster Linie das von einem Fachmann der Arbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde entwickelte „Prittlbacher Gewürz mit Pfeffergeschmack“, das auch „Deutscher Pfeffer“ genannt wurde. Außerdem  gab es eine von einem SS-Arzt geleitete Forschungsabteilung, die die Einwirkung von Pflanzengiften auf  Wachstum und Fruchtergiebigkeit der Pflanzen untersuchte.  Daniella Seidl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Volkskunde/Europäische Ethnologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat die Geschichte der „Plantage“ wissenschaftlich untersucht. Der „Kräutergarten“ war demnach Kernstück und Vorzeigebetrieb der Deutschen Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung. Vor allem in den ersten Jahren war die Arbeit auf der Plantage durch schwere körperlich Belastung durch Arbeit auch im Regen, unzureichende Kleidung, schlechte Verpflegung, willkürliche Schikanen und mörderische Brutalität der Bewacher, ein Todeskommando.  Wenn abends die Häftlingskolonnen zurück ins Lager zogen, wurden hinter den entkräfteten, taumelnden Gestalten immer zehn oder mehr Schubkarren mit Toten und Sterbenden geschoben, wie sich der tschechische Historiker und einstige  Häftling Stanislav Zamecnik nach dem Krieg erinnerte. Zwischen 1939 und 1945  starben auf der Plantage mehr als 800 Häftlinge. Der junge Priester Hermann Scheipers war einer von denen, die auf der Plantage arbeiten mussten. Der Lagerkommandant begrüßte ihn und die mit ihm eingelieferten neuen Insassen mit den Worten „Ihr seid ehrlos, wehrlos und rechtlos. Ihr habt hier zu arbeiten oder zu verrecken!“  Zusammen mit den meisten anderen Häftlingen des Priesterblocks kam Scheipers in das Plantagenkommando. Wer dort nicht „spurte“, wurde ausgepeitscht, an den Armen aufgehängt oder bei nacktem Oberkörper mit eiskaltem Wasser übergossen. Durch bewusst geringe Essensrationen wurden die Gefangenen gezielt ausgehungert. Den eingesetzten Geistlichen wurde im Jahr 1942 gezielt die sorgenannte Brotzeit vorenthalten, die andere arbeitende Häftlinge erhielten. Die meisten der im KZ Dachau verstorbenen Geistlichen starben an den Folgen dieser Behandlung im Jahr 1942. Die Mehrheit der seliggesprochenen Geistlichen verstarben 1942. An den ständigen, nagenden Hunger erinnerte sich Hermann Scheipers, der 2016 kurz vor seinem 103. Geburtstag starb, auch im hohen Alter noch mit Grausen: „Wenn es um ein Stück Brot ging, wurden selbst Häftlinge, die aus gutem Hause stammten, zu Raubtieren.“ Diesen rücksichtslosen Überlebenskampf zu beobachten, sei für ihn das Schlimmste während der Lagerzeit gewesen.

Der Kräutergarten war auch in den Vernichtungskrieg im Osten eingebunden. Die in Dachau angebauten Gladiolen, Ringelblumen und Primeln wurden pulverisiert und zu Vitamin C verarbeitet, das in Päckchen an die Ostfront geschickt wurde. Die Nationalsozialisten sahen die mangelnde Versorgung deutscher Soldaten als einen der Gründe für die Niederlage im Ersten Weltkrieg an. Bessere Ernährung sollte die Kampfkraft erhöhen.

Der Verkaufsladen auf der Rückseite des Verwaltungsgebäudes bot den Häftlingen aber auch eine Möglichkeit, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Menschen aus der Umgebung des Lagers konnten dort Gemüse, Blumen und Samen einkaufen. Einzelne Dachauer steckten den Gefangenen, deren Elend sie im Laden sehen konnten, heimlich Lebensmittel zu und schmuggelten für sie Briefe nach draußen. Maria Seidenberger aus Hebertshausen half dem tschechischen Häftling Karel Kasak dabei, Briefe nach Prag zu senden. Kasak hatte in einem geheimen Tagebuch von April und Mai 1941 notiert, dass SS-Posten täglich Häftlinge erschossen. Maria Seidenberger wurde 2005 von der Stadt Dachau mit dem Zivilcourage-Preis geehrt. Ab April 1942 wurden auf Anordnung von Heinrich Himmler vor allem Häftlinge aus dem Priesterblock zur Arbeit auf der Plantage eingeteilt. Sie nutzten den Verkaufsladen, um Medikamente, Messwein und Hostien ins Lager zu schmuggeln. In den Sommermonaten 1942 arbeiteten ungefähr 1500 Insassen auf der Plantage. Die SS erhielt vom Betriebsleiter der Einrichtung pro Kopf eine Vergütung von 30 Pfennigen am Tag. Homöopatische Medikamente, die auf der Plantage gewonnen wurden, wurden übrigens auch wenige hundert Meter entfernt im Konzentrationslager  bei Versuchen mit Gefangenen, die an Tuberkulose erkrankt waren, verabreicht. Auch skurrile Versuche fanden auf der Plantage statt. Im Herbst 1943 gab es einen Lehrgang für Wünschelroutengänger, die den SS-Wehrgeologeneinheiten zugeordnet werden sollten.  Deren Aufgaben waren unter anderem die Suche und Überprüfung von Trinkwasser in den besetzten Gebieten, Bodenforschung vor dem Erstellen von militärischen Anlagen und der Bau von Bunkern. Bei einer Division der Waffen-SS in Belgrad sollen mehrere Routengänger stationiert gewesen sein, um Wasser, aber auch unterirdische Gänge, versteckte Bunker und Goldvorkommen aufzuspüren.

Offiziell zählten die erwirtschafteten Werte des SS-Wirtschaftssystems zum deutschen Staatsbesitz. In Wirklichkeit nutzten sie der SS, indem sie ihre Abhängigkeit von der SA und vom Reichsinnenministerium verringerten. Genau zu diesem Zweck wurden zahlreiche Unternehmen auch gegründet. Dem finanziellen Wohlergehen der SS diente aber auch die Vermietung von Arbeitssklaven an Privatfirmen. Von den rund 700 000 Häftlingen in deutschen Konzentrationslagern arbeiteten in den Jahren 1944/45 mehr als 400 000 in der Kriegswirtschaft  bei Privatfirmen. Nähe zu solchen Arbeitsplätzen war der Grund dafür, dass schließlich ein Netz von über 1000 KZ-Außenlagern existierte. Dort wie in den Unternehmen der SS selbst wurden die Häftlinge vor allem für besonders grobe, anstrengende, gefährliche und gesundheitsschädliche Tätigkeiten eingesetzt. Die Verwendung von durch menschenunwürdige Behandlung kaum mehr leistungsfähigen Gefangenen war allerdings einer der Punkte, in denen die nationalsozialistische Ideologie ihren eigenen Zielen schadete. Zehntausende Menschen, die eigentlich dringend als Arbeitskräfte gebraucht worden wären,  wurden aus ideologischen  Motiven zugrunde gerichtet. Ein immenses und aufwendiges Überwachungssystem war außerdem nötig, um zu verhindern, dass die  Arbeitssklaven durch Sabotage der Produktion schadeten. Der Terror der „Vernichtung durch Arbeit“ war wichtiger als Produktivität. Nur wenige Ausnahmen sind bekannt. So führten die SS-eigenen Deutschen Erd- und Steinwerke, die unter anderem Material für „Führerbauten“ lieferten,  1940/41 gegen große Widerstände „Vergünstigungen“ für einige Häftlinge ein. Heinrich Himmler ordnete allerdings an, dass selbst gefangene Facharbeiter nur im Notfall zusätzliche Verpflegung oder bessere Kleidung erhalten durften. Sie sollten möglichst  nur durch ein geringeres Ausmaß an Misshandlungen „bessergestellt“ werden.

Nur wenige SS-Unternehmen arbeiteten mit Gewinn. Das lag auch daran, dass oft ohne viel Sachverstand ans Werk gegangen wurde. Heinrich Himmler nutzte seine Machtbefugnisse auch dazu, unliebsame Konkurrenz außerhalb der SS auszuschalten und seinen Günstlingen zusätzliche Einnahmequellen zuzuschanzen. So änderte er für den Chef der Anton Loibl GmbH eigens die deutsche Straßenverkehrsordnung und schrieb die Vorschrift hinein, dass alle Fahrrad-Pedale reflektierende Rückstrahler haben mussten. Das beschaffte dem Patentinhaber Loibl beträchtliche Lizenzeinnahmen. Kaum ein Radfahrer ahnt, dass er heute noch wegen dieser SS-typischen Vetternwirtschaft mit Tretstrahlern unterwegs ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die SS-Wirtschaft als Modell für eine veränderte soziale und wirtschaftliche Ordnung für das gesamte Großdeutsche Reich nach dem „Endsieg“ gedacht war. Die Methode, mit der die angebliche Herrenrasse  ihren Wohlstand sichern wollte, bestand in erster Linie aus der brutalen Ausbeutung angeblich minderwertiger Menschen und dem groß angelegten Raub fremden Eigentums aus besetzten Gebieten.

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