Unbekannte Zitate zum Befreiungstag

Foto: Blumen in der Gedenkstätte, Rechte beim Verein Selige Märtyrer von Dachau

Zum Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau 29.04.1945- 06.05.2024

Was nicht erzählt wird und doch zu den Erinnerungen des Befreiungstag gehörte, soll hier an Hand von Zitaten von Zeitzeugen ergänzt werden. Es wäre schön, wenn die Feiern des Befreiungstags um ein Vaterunser erweitert werden würde, wie damals.

Gebet am Tag der Befreiung:

Oft wird erzählt, wie die amerikanischen Befreier im KZ Dachau ankamen, lange herbeigesehnt von den leidenden, hungernden und kranken Häftlingen. Gut bekannt ist, das dann geschah: Die Freude der befreiten Häftlinge, das Staunen über eine blonde Frau unter den Soldaten, eine Kriegsberichterstatterin, die Hinrichtung von Wachen auf den Wachttürmen. …

Einige Berichte werden selten oder gar nicht erwähnt. Mit folgenden Zitaten möchten wir die Erinnerungsarbeit ergänzen. Es folgen Zitate aus den Aufzeichnungen überlebender Häftlinge, inzwischen verstorbener Zeitzeugen.

Wir schlagen vor Feierlichkeiten zum jährlichen Befreiungstag zu erweitern um ein „Vater unser“ und priesterlichen Segen am Originalschauplatz, wie es damals gebetet wurde. Was für die amerikanischen Befreier richtig und gut war, sollte auch die jährliche Feier des Befreiungstags in unserer Zeit ergänzen.

Der französische Häftling Edmond Michelet, später Minister in Frankreich und Miterbauer der deutsch-französischen Freundschaft, sein Seligsprechungsverfahren läuft. Als unmittelbarer Zeitzeuge der Befreiung berichtete er:

„… Noch dreißig Sekunden, und da ist der dritte Befreier. Dieser ist nicht bewaffnet. Er stellt sich vor: es ist ein Militärseelsorger. Mit ergreifender Stimme fordert er uns auf, der Vorsehung zu danken, dass sie uns bis zu diesem Tage erhalten habe, dass sie uns den Klauen des Drachen entrissen habe. Dann lädt er die herbeigeeilten Kameraden ein, auf dem großen Platz zusammenzukommen, um dem ersten Dankgebet, das er dort oben verrichten will, beizuwohnen. Mit dem Finger zeigt er auf den düsteren Turm und geht auf diese ungewöhnliche Kanzel zu. Man sieht ihn bald auf dem Aussichtspunkt des Wachturmes. In weiter Bewegung gibt er das Zeichen des Segens über die brüllende Menge, die aus den Blocks zusammenströmt. Aber plötzlich hört man Kugeln pfeifen, alles wirft sich zu Boden. Erst nach einem letzten Kugelwechsel mit den fanatischen SS-Leuten wird das Sternenbanner am Mast gehißt, wo gestern noch die rote Fahne mit dem Hackenkreuz wehte. Unerschütterlich aber betet der Priester von seiner Höhe herab unter einem zerbeulten Stahlhelm das „Vater unser“. So wurde uns – sozusagen im Wildwest-Stil – die Freiheit wiedergegeben.“[1]

Der junge polnische Geistliche, der spätere Bischof Jez berichtete von seinen Erlebnissen des Befreiungstages und dem amerikanischen Militärgeistlichen, der zu den Häftlingen sprach: „über Lautsprecher erfuhren wir, dass wir frei waren. Dankt Gott für die wiedererlangte Freiheit![2]

„“Und Gott ist dennoch gut!“- so ruft er in die schweigende Menge.- „Hier, am Ort so vieler Gräuel, schenkt er euch die Stunde der Erlösung! Es geziemt sich, zu beten“. Dann betet er laut vor [das „Vater unser, Anm. d. Verf.], macht das Kreuzzeichen über das Lager und winkt grüßend mit seinem Helm.“[3]

Soweit der Bericht Eugen Weilers, Überlebender Geistlicher der KZ Dachau aus den Priesterblocks.

Gottesdienst auf dem Appellplatz:

Noch ein Blick zurück in die Geschichte: Kurz nach der Befreiung des KZ Dachau durch amerikanische Truppen am 29.04.1945, feierten die Häftlinge zwei große Feste. Das erste fand am 01.05.1945, am Tag der Arbeit statt und war besonders für die politischen Gefangenen mit sozialistischem oder kommunistischem Hintergrund wichtig. Am 03.05.1945 feierten die Gefangenen einen gemeinsamen Gottesdienst:

Für diesen Gottesdienst wurde ein „geradezu turmhohes Kreuz[4], auf dem Appellplatz errichtetet. Ein Vorgänger der Todesangst-Christi-Kapelle? „Die Häftlinge hatten es gezimmert und mit großer Mühe aufgerichtet. „Siegreich schaut das Christuskreuz über das befreite Vernichtungslager des Hakenkreuzes.  An seinem Fuß ist eine Freitreppe gebaut mit 10 Stufen. Obenauf der Altartisch, überreich mit Blumen und Kränzen geschmückt. … Heute am 03. Mai, war ein großer Aufmarsch der Nationen. In schöner Ordnung gruppierte sich das großartige Bild um den Kreuzaltar. Auch eine Abordnung amerikanischer Soldaten war erschienen. …“[5] Kanzel, Sängerchor und Lautsprecheranlage waren auch da. „Sie trug Predigt, Gesang und Gebet über das weite Lager hin. So wurde das heilige Opfer der Erlösung dargebracht. Feierlich senkte sich zur heiligen Wandlung der Fahnenwald in Huldigung vor Christus, dem König. Vierzig Nationen der Erde- die Welt von Dachau- huldigten ihrem Retter und Erlöser, feierten betend und dankend Christus, den Sieger von Dachau!“[6]. Eine bewegende Beschreibung.

Dieses wörtliche Zitat stammt von einem überlebenden Häftling des KZ Dachau, dem Geistlichen Eugen Weiler. Auch wenn wir sein Pathos für uns etwas in unsere heutige Sprache übersetzen müssen, zeigt dieser Bericht, dass alle überlebenden Häftlinge, unter ihnen noch 1240 Geistliche, dem Glauben an Gott, einem Gottesdienst und sogar einem hohen Kreuz auf dem Appellplatz (heute unvorstellbar) zustimmten.

Der polnische Bischof Ignazy Jez, ebenfalls selbst Häftling in den Priesterblocks, erzählt aus einer anderen Perspektive: „Am 03. Mai wurde auf dem Appellplatz von den Polen eine feierliche Messe zelebriert. Wir stellten ein großes, herrliches Kreuz auf. Am Altar war ein Bildnis der Gottesmutter von Tschenstochau, gemalt von Pfarrer Sarnik. …“ (einem der befreiten polnischen Geistlichen). Der Festprediger erzählte, „dass er bei den unzähligen Appellen, … immer die Gewissheit in seinem Inneren gespürt habe, dass man einmal hier die heilige Messe feiern würde und dass dies der Platz der kirchlichen Begegnung sein würde.“[7]

Freiwillige Krankenpflege nach der Befreiung

Was ebenfalls unbekannt ist, dass zahlreiche Geistliche nicht nur vor der Befreiung des Lagers freiwillig unter dem lebensgefährlichen Risiko der Ansteckung typhuskranke Kameraden pflegten, auch nach der Befreiung bleiben viele freiwillig in Dachau um typhuskranke Kameraden zu pflegen.

Edmond Michelet berichtete: „Es gab prachtvolle Beispiele der Opferbereitschaft bei unseren „Pfarrern“, den Jesuitenpater Valton, den Abbé Lelièvre und andere junge französische Priester von Block 26: Abbé Fraysse und der P. Hennion im Besonderen.“[8] Auch französische Ärzte blieben freiwillig um dem roten Kreuz und den amerikanischen Befreiern bei der Behandlung der Kranken zu helfen, berichtete Michelet. Alle waren selbst in einer schlechten körperlichen Verfassung und verschoben trotzdem die lang ersehnte Rückkehr in die Heimat, um zu helfen.

Auch der deutsche Dominikanerpater Leonhard Roth, der in Dachau für seine Seelsorge nach dem Krieg noch heute hoch verehrt wird, P. Johannes Maria Lenz S.J. aus Linz blieben freiwillig nach der Befreiung des Lagers, um kranke Kameraden zu pflegen. Er lehnte das Angebot eines Landsmanns ab mit dem Auto in die österreichische Heimat zu fahren. „Ich bleibe bei meinen Kranken!“[9]

P. Henryk Maria Malak, damals ein junger polnischer Jesuitenpater, erzählt in seinem Buch mit Erlebnissen aus seiner Gefangenschaft [10], wie er sich mit dem Priesterkameraden freiwillig zur Krankenpflege meldete, statt sich zu erholen und endlich eine heilige Messe in der Lagerkapelle zelebrieren zu können, was sie erseht hatten.

 „Fifty Polish priests tot he hospital as nurses!“ the fellow leading us reports tot he American guard.

„Okay!“ the busy jaws continue chewing gum. The heavy gate closes behind us.

Beyond the little bridge, we make a turn onto the Road of Death. The sun is setting behind the dark tops of fir trees surrounding the crematorium. Ist blackened chimney stands out against the dusky blue oft he May sky. To the right, beyond the canal and the coiled wire, lie stuffy barracks filled with human wretchedness. Before us ist the black, gravelpaved Road of Death. So many thousands walked this way to lose their lives; bringing our whole life as a gift obtained through the pleas of our Lady, we walk here on this her day, the first Saturday. Isn’t it fitting that we, who have been so blessed, should bring aid to those who are near death while at the threshold of freedom?

„We’re going to celebrate,“ says Zdzich with a smile.

„That’s right, Zdzich … we’re going to celebrate at the altar of love.“

After almost six years spent behind the barbed wire of a death camp, we enter life again free… What will it bring us?“[11]

 

Quellen:

[1] Michelet Edmond, die Freiheitsstraße, Stuttgart 1955, S. 251

 [2] Jez, Ignacy, Licht und Dunkel preiset den Herrn! Als polnischer Priester im KZ Dachau, Würzburg 2007, S. 76                       

[3] Weiler, Biographie, a.a.O. S. 261f

[4] Weiler, Eugen, Biographie ... Lenz, S. 264, Vermutlich Worte v. P. Lenz                        

[5] Weiler, Biographie, a.a.O. S. 264

[6] Weiler, Eugen, Biographie ... Lenz, S. 264f              

[7] Jez, Ignacy, Licht und Dunkel preiset den Herrn! Als polnischer Priester im KZ Dachau, Würzburg 2007, S. 79

[8] Michelet Edmond, die Freiheitsstraße, Stuttgart 1955, S. 261

[9] LENZ,  Johannes M., Christus in Dachau, 10. Auflage Wien 1960 (Aufzeichnungen ab Juni 1945 auf Bitten Papst Pius XII niedergeschrieben, wiederholt aufgelegt), S. 318

[10] MALAK, Fr. Henryk Maria, Shavelings in Death Camps, A Polish Priest´s Memoir of Imprisonment by the Nazis, 1939-1945, Jefferson, North Carolina, and London, 2012 (Englische Sprache), S. 394

[11] MALAK, Fr. Henryk Maria, Shavelings in Death Camps, A Polish Priest´s Memoir of Imprisonment by the Nazis, 1939-1945, Jefferson, North Carolina, and London, 2012 (Englische Sprache)