
Henri Euzenat
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Inhaltsübersicht:
- Biografie
Henri Euzenat und sein Zwillingsbruder Georges wurden am 6. September 1920 in der kleinen Gemeinde Blesme geboren, im Osten Frankreichs, am Oberlauf der Marne, in der Mitte zwischen Straßburg und Paris. Nach dem Schulbesuch begannen beide als Arbeiter bei der französischen Staatsbahn SNCF die Ausbildung zum Kesselschmied. Im November 1940, ein halbes Jahr nach dem deutschen Angriff auf Frankreich, traten Henri und Georges der Jeunesse Ouvrière Chrétienne (JOC), der Christlichen Arbeiterjugend, bei. Das war eine in den 1920er Jahren gegründete apostolische Vereinigung zur Volksbildung und spirituellen Ausbildung für junge Menschen aus der Arbeiterklasse. Dieser Schritt sollte entscheidend für das spätere Schicksal beider Brüder sein.
Mitglieder dieser Organisation gerieten als engagierte Katholiken während eines zwangsweisen Aufenthalts in Deutschland oft mit dem NS-Regime in einen ernsten Konflikt. Die Regierung in Vichy, die mit den Nationalsozialisten kollaborierte, erließ im September 1942 ein Gesetz, das die französischen Behörden verpflichtet, qualifizierte Kräfte für die Arbeit in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Dieses Schicksal traf auch Henri und Georges Euzenat, die jetzt in Magenta wohnten, 70 Kilometer flussabwärts an der Marne. Die beiden wurden am 27. Oktober 1942 mit 25 weiteren Mitarbeitern von Eisenbahnwerkstätten nach Deutschland geschickt. In Karlsruhe sollen sie in einer Nähmaschinenfabrik eingesetzt werden.
Ihre Erlebnisse in den folgenden 22 Monaten lassen sich genau rekonstruieren, weil Henri im Sommer 1945 nachträglich ausführliche Notizen in der Art eines Tagebuchs angefertigt hat. Beide Brüder kamen bei im Haus der Barmherzigen Schwestern des Heiligen Vinzenz von Paul in der Bernhardstraße 13 unter. Dort ist der Orden heute noch ansässig. Georges schilderte das nach dem Krieg als Glücksfall, weil andere französische Arbeiter unter ganz anderen Umständen untergebracht wurden, ganz zu schweigen von den außerhalb der Arbeitszeit in Lagern hinter Stacheldraht vegetierenden Angehörigen des Pflichtarbeitsdienstes, wie die Zwangsarbeiter offiziell hießen.
Am Weihnachtstag 1942 erlebten Henri und Georges Euzenat nicht weniger als drei Messen in der Kapelle des Schwesternhauses: Die Mitternachtsmette, die Frühmesse und das Hochamt Stunden später. Die Zwillinge ließen sie sich trotz des Risikos nicht von verbotenen Aktivitäten abhalten. Sie leisteten ihren ebenfalls in Deutschland arbeitenden Landsleuten spirituelle und praktische Hilfe, wo immer sie konnten. Vier junge Franzosen besuchten jeden Sonntag reihum Kranke in Hospitälern. Mit Hilfe eines deutschen Pfarrers organisierten sie sogar Messen in französischer Sprache. Zur ersten wurde nur per Mundpropaganda eingeladen. Zu den weiteren gab es tatsächlich schriftliche Ankündigungen mit Zetteln an Pinnwänden. Nach den Notizen von Georges Euzenat duldete die Gestapo das zunächst – ganz im Gegensatz zu dem, was Zwangsarbeiter aus anderen deutschen Städten nach dem Krieg berichteten.
Im Haus der Vinzenzschwestern fanden außerdem religiöse Studienkreise ein, die sich heimlich trafen. Dort gab es auch einen mit falschen Papieren illegal in Deutschland tätigen französischen Untergrundpriester, den Abbé Gustave Laugeois, Er war in Frankreich Monteur in einer Fabrik gewesen, ehe er seiner Priesterberufung gefolgt war. Trotz des Risikos für Leib und Leben war er einer Bitte seines Bischofs nachgekommen, junge Franzosen im Land des Feindes seelsorgerisch zu betreuen und ging „nebenbei“ sechs Tage in der Woche seinem früheren Beruf nach. Abbé Laugeois feierte sonntags mit den Euzenat-Brüdern und ihren Kameraden verbotene Messen in französischer Sprache. Zum Weihnachtsfest 1943 halfen die Barmherzigen Schwestern bei der Vorbereitung einer Messe der Franzosen. Sie zweigten von ihren Lebensmittelkarten einen Coupon für Weißbrot ab, damit Hostien in den Leib Christi verwandelt werden konnten.
Anfang 1944 entschied sich die Gestapo, die illegalen Aktivitäten zu unterbinden. Georges Euzenat vermutete später, Auslöse dafür seien Anzeichen für einen bevorstehenden Aufstand unter russischen Zwangsarbeitern gewesen. Handhabe war jedenfalls ein Dekret aus dem Reichssicherheitshauptamt, das sich gegen die Action Catholique, die Katholische Aktion richtete. Das war die Dachorganisation von Bewegungen im Rahmen des Sozialkatholizismus, zu denen auch die Christliche Arbeiterjugend gehörte. Die Zwillinge wurden am 29. Januar 1944 verhaftet. Ein französischer Spitzel hatte schriftlich alles festgehalten, was er mitbekam und es der Staatspolizei weitergemeldet. Henri und Georges Euzenat kamen zunächst ins Gefängnis von Ettlingen am Stadtrand von Karlsruhe. Sie sahen sich nun nur noch selten, weil sie in verschiedenen Zellen untergebracht wurden. Georges schilderte, wie ein Gestapomann ihn bei Verhören mit Salven von Ohrfeigen traktierte und ihn mit dem Kopf gegen die Wald des Vernehmungszimmers schlug. In der Karwoche dachte Georges an die Passion Christi und meinte, dass der Karfreitag vielleicht auch ihm das Ende seines Erdenlebens bringen werde und entschloss sich, den Tod anzunehmen, wenn dies geschähe.
Nach der Taktik von Zuckerbrot und Peitsche bot der Vernehmer ihm aber auch die Freilassung an, wenn er sich für ein Jahr zum Dienst als Wachposten bei der Waffen-SS mit einem festen Gehalt und guter Verpflegung verpflichte. Danach dürfe er angeblich als freier Mann nach Frankreich zurück. Georges brachte zufällig den Namen des Gestapo-Mannes in Erfahrung: Gerst. Adolf Gustav Gerst, Jahrgang 1909, war Sohn des Leiters der Staatspolizeileitstelle Mannheim und hatte sich selbst vergeblich für die Laufbahn eines Polizeioffiziers beworben. Ihm wurde nur die Beschäftigung als Angestellter im Rang eines Kriminalassistenten angeboten. Sein brutales Verhalten bei Verhören hing möglicherweise mit dem Ziel zusammen, doch noch Kommissar zu werden. Nach dem Krieg wurde Gerst vor Gericht gestellt, weil er in mehreren Fällen andere Gefangene dermaßen gefoltert hatte, dass sie starben. Er wurde zu zehn Jahren Zuchthaus wegen Aussageerpressung mit Körperverletzung und Todesfolge verurteilt, musste davon aber nur drei Jahre verbüßen.
Nach den Vernehmungen wurden Henri und Georges Euzenat zunächst ins Gefängnis des etwa 20 Kilometer von Karlsruhe entfernten Bruchsal verlegt. Auch dort hatten sie verschiedene Zellen und sagen sich nur gelegentlich. Georges äußerte sich in seinem Tagebuch erschrocken darüber, wie sehr abgemagert Henri war. Er musste mehrmals hinsehen, um den blassen Häftling, der den Kopf hängen ließ, überhaupt zu erkennen. Am 4. Juli 1944 wurden beide Brüder gemeinsam ins Konzentrationslager Dachau deportiert, wo Georges die Häftlingsnummer 76388 erhielt und Henri die 76389. Sechs Wochen später, am 17. August 1944, wurden die Lebenswege der beiden Zwillinge dann gewaltsam und endgültig getrennt. Henri kam ins Konzentrationslager Mauthausen in Österreich, wo die SS-Bürokratie seine KZ-Nummer auf 89394 änderte. In verschiedenen Kommandos musste er im Außenlager Gusen härteste körperliche Arbeit leisten. Gusen war zur Ausbeutung eines Granit-Steinbruchs gegründet worden, wandelte sich im Laufe des Krieges aber immer mehr zum Großstandort deutscher Rüstungsproduktion.
Am 25. April 1945, zehn Tage vor der Befreiung des KZ Gusen, starb Henri Euzenat. An diesem Tag wurde sein zerschundener und von Tuberkulose zerrütteter Körper im Krematorium eingeäschert. Kameraden, die es miterlebten, waren sich nicht sicher, ob ihr Kamerad wirklich tot war oder noch ein Rest Leben in ihm steckte. Georges Euzenats Gefangenschaft in Dachau ging zu Ende, als US-Truppen in der Region ankamen. Er wurde in Kaufering, 20 Kilometer südwestlich des Stammlagers, unweit des Ammersees, befreit. Rund um den Ort gab es zwölf Dachauer Außenkommandos. Über die Zeit in Dachau merkte Georges an, dass Menschen, die vor ihrer Einlieferung ein sorgloses Leben voller Vergnügungen gehabt hatten, dort manchmal binnen weniger Wochen starben, während Häftlinge mit einer entbehrungsreichen Vergangenheit länger durchhielten Georges bekam später einen Sohn, den er Henri nannte, und überlebte seinen Zwillingsbruder um 39 Jahre.
Im Heimatort der Euzenat-Brüder, in Magenta bei Epernay, ist heute eine Straße nach Henri Euzenat benannt. Abbé Gustave Laugeois gelang es, der Gestapo kam bis zum Kriegsende zu entkommen. Er kehrte in seine Heimatstadt Bobigny am Stadtrand von Paris zurück und errichtete dort im Stadtviertel Etoile eine Kapelle, in der eine von Gläubigen und Freunden der Résistance gestiftete Plakette an ihn erinnert.

Foto: Association des amis de la Fondation de la Résistance
Biografie:
Henri Euzenat wird am 6. September 1920 in Blesme in Ostfrankreich geboren. Er tritt als Kesselschmied bei der Staatsbahn im November 1940 der Christlichen Arbeiterjugend bei. Ein Gesetz der Vichyregierung sieht vor, qualifizierte Arbeitskräfte wie ihn nach Deutschland zu schicken. Am 13. Oktober des folgenden Jahres reist er mit 27 Kollegen nach Karlsruhe, um in einer Fabrik für Nähmaschinen zu arbeiten. Henri und andere junge Katholiken unterstützen nebenbei Landsleute, die als Zwangsarbeiter ins Land des Kriegsgegners kamen, mit praktischen und spirituellen Hilfsdiensten und Krankenbesuchen. Sie organisieren mit Hilfe deutscher Priester offiziell nicht zugelassene Messen in französischer Sprache und richten heimliche Studienzirkel bei Ordensschwestern ein. Sie nehmen sogar einen untergetauchten französischen Priester auf, der mit ihnen verbotene Messen feiert. Die Gruppe wird am 29. Januar 1944 von der Gestapo festgenommen. Ein eingeschleuster Spitzel hat sie verraten. Henri Euzenat wird zunächst im nahegelegenen Bruchsal inhaftiert und von dort am 4. Juli ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Am 17. August muss er weiter ins KZ Mauthausen in Österreich. Dort wird er gezwungen, in verschiedenen Kommandos bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Am 25. April 1945, zehn Tage vor der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen, wird sein ausgezehrter Körper im Außenlager Gusen zum Krematorium gebracht. Kameraden sind sich später nicht einig, ob Henri Euzenat vor der Verbrennung schon tot war.