
Victor Dillard
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Inhaltsübersicht:
- Biografie

Foto: Association des amis de la Fondation de la Résistance
Kurzbiografie:
Victor Dillard wird am 24. Dezember 1897 in Blois an der Loire geboren und 1931 zum Priester geweiht. 250 religiöse Bücher und Artikel stammen aus seiner Feder. Im Ersten Weltkrieg dienst er von 1916 bis 1919 als Unterleutnant, wird verwundet und nimmt nach Kriegsende an der französischen Besetzung deutscher Gebiete im Rheinland teil. 1939/1940 ist er Hauptmann der Artillerie und gerät in Gefangenschaft, kann aber fliehen. Im Herbst 1943 willigt er ein, als Untergrundseelsorger nach Deutschland zu gehen, um dort französische Zwangsarbeiter zu betreuen. Falsche Papiere weisem ihn zu diesem Zweck als Elektriker aus dem Departement Creuse im Zentrum des Landes und Vater von fünf Kindern aus. Als „freiwilliger“ Arbeiter komm er Anfang Oktober 1943 in Wuppertal an und wird einer Fabrik zugewiesen, in der er tatsächlich als Elektriker tätig ist. Schon nach wenigen Tagen feiert Victor Dillard aber im Krankenhaus von Elberfeld heimlich eine Messe. Er entfaltet eine intensive apostolische Tätigkeit, besucht alle erreichbaren französischen Arbeiterlager, schart rund 30 Helfer für Sonntagsmessen und Gesprächskreise um sich. Er wird am 22. April 1944 wegen „antideutscher politischer Umtriebe im Lager“ verhaftet und von der Gestapo verhört. Nach Aufenthalten in Gefängnissen in Wuppertal und in Barmen wird er am 28. November 1944 in das KZ Dachau deportiert. Im Konzentrationslager stirbt er schon nach wenigen Wochen, am 12. Januar 1945, wegen der unmenschlichen Haftbedingungen an einer fortgeschrittenen Venenentzündung als letzlicher Ursache.
Biografie von Klemens Hogen-Ostlender:
Ein Soldat im Jesuitenorden
Es ist die Christnacht des Jahres 1897. Es geht auf Mitternacht. In Blois an der Loire wird Victor Marie Gabriel Dillard als neuntes Kind des Textilgroßhändlers Adrien Victor Dillard und seiner Ehefrau Anna Louise geboren. Seine Jugend verbringt er im Milieu einer kulturell interessierten Familie, in der Musik und Theater eine große Rolle spielten. Er hat sechs Brüder und drei Schwestern. Etienne wird später Vater der bekannten Chansonsängerin Françoise Hardy. Alle Kinder tragen mehrere Vornamen. Alle heißen unter anderem auch Marie. Zwölf Jahre lang besucht Victor die katholische Schule Notre-Dame des Aydes in Blois. Drei seiner älteren Brüder dienen bei Kriegsbeginn 1914 bei den französischen Streitkräften. Einer Robert, wird es bei der Marine schließlich zum Vizeadmiral bringen. Victor gehört dem Rat der Congrégation du Sacré-Cœur, der Bruderschaft des Heiligsten Herzens Jesu, an und ist ein eifriger Beter nicht nur bei den Totenwachen für die zahlreichen getöteten Angehörigen der Schule.Nachdem sein Bruder Pierre gefallen ist, bittet Victor seine Eltern um die Erlaubnis, dessen Platz an der Front einnehmen zu dürfen.
Die Entscheidung
Er erhält sie und meldet sich im Juni 1915 mit 17 ½ Jahren freiwillig zur Artillerie, bei einer Division, in der sein Bruder Raymond dem Generalstab angehört. Victor kämpft unter anderem bei Verdun, übersteht eine Verwundung und ist im November 1918 Offizier. Leutnant Dillard bleibt zunächst Soldat und dient als Angehöriger französischer Besatzungstruppen bei Landau in der Pfalz. Wann Victor zum ersten Mal seine Berufung spürt, ist ungewiss. Einer Schwester hatte er schon vor dem Krieg gesagt „Ich weiß genau, was ich tun will“. Noch aber denkt er an eine Fortsetzung seiner Militärkarriere. Von März 1919 ist er ein halbes Jahr lang Ausbilder für die Armee des eben erst gegründeten selbstständigen Polen, zunächst in Frankreich und dann in Wloclawek an der Weichsel. Hals über Kopf verliebt sich der staatliche Offizier in eine junge Polin - in allen Ehren, wie er viele Jahre später einem guten Freund sagt. Doch vor einem großen Kruzifix legt er ein Ehelosigkeitsgelübde ab. Sein Lebensziel ist nicht das eines Familienvaters.
Am 9. November 1919 ist noch kein ganzes Jahr seit dem Waffenstillstand vergangen. Zwei Tage fehlen noch. Mit zweien seiner Brüder und einigen guten Freunden geht Victor Dillard an diesem Sonntagabend wieder einmal aus. Erst diniert die Gesellschaft im Maxim´s. Dann geht es in ein Varieté. Schließlich macht man noch einen Zug durch die Bierlokale. Dann eröffnet Victor seinen Begleitern auf dem Trottoir vor der letzten Kneipe: „Meine Alten, das war das letzte Mal, dass ich euch das Restaurant bezahlt habe. Morgen trete ich ins Noviziat der Jesuiten in Baumont-sur-Oise ein“. Den erstaunten Eltern erklärte e, warum er nicht dem Diözesanklerus angehören wollte, was sie lieber gesehen hätten: „Ich bin nicht heilig genug, um mitten in der Welt zu leben.“ Sie spüren, dass das kein Scherz ist, sondern seinem tiefen Bedürfnis nach Führung, nach einer einer Regel und einer intensiven geistlichen Ausbildung entspricht, um im monastischen Geist der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams leben zu können.
Novize bei den Jesuiten
Am nächsten Tag klopft er tatsächlich an die Tür des Kollegs seines Ordens. Es ist mein Zufall, dass er die Jesuiten gewählt hat, deren französische Bezeichnung Compagnie de Jésus etwas von militärischer Disziplin vermittelt. Während seiner Studien kommt er in vielen Gegenden Frankreichs herum. 1931 empfängt er die Priesterweihe und feiert seine erste heilige Messe er in der Kapelle seiner früheren Schule in Blois. Zunächst wird er als Seelsorger für Jugendliche und Studenten eingesetzt. Zur Komplettierung schickt ihn der Orden nach Innsbruck. Von Victor Dillards Tätigkeit werden einmal 250 Bücher und Artikel für ein Magazin seines Ordens sowie andere katholische Zeitschriften zeugen. Dillard unterhält enge Verbindungen zu den katholischen Jugendbewegungen für Studenten und Arbeiter, die beide zur Katholischen Aktion gehören und sich dem Laienapostolat im Sinne der katholischen Soziallehre verschreiben. Führt, wo er im Weißen Haus in Washington den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt trifft. Als er im Kollege von Poitiers Lehrer wird, pflegt er einen neuen Erziehungsstil, der sich mehr an Wissensvermittlung durch Erfahrungen als an bloßer Tradition orientiert – manchmal nicht gerade zur Freude seiner Vorgesetzten.
Flucht aus der Gefangenschaft
Den Krieg, der am 1. September 1939 ausbricht, hat Victor Dillard kommen sehen. Schon im August tritt er als Militärgeistlicher im Rang eines Hauptmanns der Artillerie wieder in die Armee ein. Im Mai 1940 wird Frankreich überfallen, im Juni kapituliert es. Dillard gerät in deutsche Gefangenschaft. Aus einem Offizierslager in Frankreich soll er nach Deutschland verlegt werden, doch kurz vor der Grenze gelingt ihm die Flucht durch einen Sprung aus dem Zug. Er geht nach Vichy, der Hauptstadt des Regimes, das mit den Nationalsozialisten kollaboriert. Sie liegt im zunächst unbesetzten Teil Frankreichs. Gemeinsam mit anderen Jesuiten betreut er Staatsdiener, die dafür empfänglich sind, Flüchtlinge und Angehörige der Jugendbewegungen in ihrem intellektuellen und spirituellen Leben. Die Jugendarbeit bringt den Regimegegner ungewollt einmal mit Staatschef Philippe Pétain zusammen, der eine Delegation von Jugendlichen zur „Zähigkeit“ aufruft. Insgeheim knüpft Dillard aber Kontakte zu Mitgliedern der Résistance, um sie zu ermutigen und besucht politische Gefangene.
Freiwillig ins NS-Reich
Seine kritische Einstellung zur Kollaboration der Regierung mit den Deutschen macht ihn so verdächtig, dass er sich im August 1943 entschließt, die Stadt zu verlassen. Er will zunächst in Nordafrika Zuflucht suchen, entschließt sich dann nach einem Aufruf der französischen Bischöfe aber, seine jungen Landsleute nicht im Stich zu lassen, die nach einem Vichy-Gesetz zum Zwangsarbeitsdienst „Service du Travail Obligatoire“ nach Deutschland gezwungen wurden. Er brachte seine Überzeugung mit diesen Worten zu Papier: „In Wirklichkeit dachte ich, dass ich, während eineinhalb Millionen unserer besten jungen Leute nach Deutschland verschleppt wurden, nicht das Recht hatte, ruhig in meinem Warmen zu sitzen und Predigten zu verfassen.” Er fasste seinen Entschluss, obwohl er sich der Risiken für Leib und Leben bewusst war.
Im Herbst 1943 meldet er sich freiwillig, als Untergrundseelsorger nach Deutschland zu gehen, um dort französische Zwangsarbeiter zu betreuen, für die die deutschen Behörden jegliche geistliche Fürsorge verboten hatten. Der Jesuiten Jean Laplace erinnert sich später: „Pater Dillard vertraute mir in Lyon nach dem Mittagessen bei einem Spaziergang im Garten an, dass der Provinzial ihm die Erlaubnis verweigert hatte, als freiwilliger Priester nach Deutschland zu gehen, um die Jugendlichen des Zwangsarbeitsdienstes zu begleiten“. Dillard habe dafür Verständnis gehabt, so Laplace, und gesagt: „Er hat Recht, in meinem Fall wäre das fast Selbstmord!“. Zwei Wochen später erfährt Laplace dann, dass Victor Dillard noch einmal um Erlaubnis gebeten und sie tatsächlich nun erhalten hatte.
Sechs Monate als Untergrundpriester
Mit gefälschten Papieren ausgestattet schlüpft Victor Dillard in eine neue Identität als Elektriker aus einer weit von seiner Heimat entfernten Region im Zentralfrankreich. Er will als nun doch „Familienvater“ mit fünf Kindern angeblich freiwillig in Deutschland arbeiten. Er wählt die berufliche Tarnung, weil er so überall in einer Fabrik unterwegs sein kann. Binnen zwei Wochen eignet er sich die technischen Grundkenntnisse an, die er bei der Arbeit beherrschen muss. Am 10. Oktober 1943 steigt er im Bahnhof Wuppertal-Elberfeld (heute Wuppertal Hauptbahnhof) aus dem Zug. Es ist Sonntag und Gedenktag des Märtyrers Viktor von Xanten. Dillard fragt einen Passanten nach dem Weg zur katholischen Kirche. Der kennt ihn nicht und schickt den Neuankömmling stattdessen zum St.-Josef-Krankenhaus, im dem Boromäerinnen Dienst tun. Gegenüber dem Hausgeistlichen Wilhelm Zündorf, der später Pfarrer von St. Antonius in Barmen wird und 1968 stirbt, gibt der Franzose sich als Priester zu erkennen. Nur wenige werden in die Identität des angeblichen Handwerkers eingeweiht, darunter Schwester Oberin Hildegarda, Schwester Hilaria, die die Küche führt und Lebensmittelmarken verwaltet und die junge Helene Hebbecker, die sich in der Verwaltung des Hauses arbeitet und sich um die Angelegenheiten des Paters kümmern wird. Als Wilhelm Zündorf später nach Thüringen geht und dort evakuierte Wuppertaler seelsorgerisch zu betreuen, zieht Victor Dillard in dessen Zimmer im Krankenhaus.
Intensive Tätigkeit
Schon nach wenigen Tagen feiert Dillard in der Kapelle des Krankenhauses heimlich eine Messe, der viele andere folgen werden, darunter jeden Sonntagnachmittag ein Gottesdienst für seine Landsleute unter den Zwangsarbeitern der Umgebung. Der angebliche Elektriker wird der Dampfkesselfabrik Silber & Jamart in Barmen zugewiesen, bei der rund 30 junge Franzosen arbeiten. Victor Dillard wohnt zunächst auf dem Fabrikgelände und zelebriert im Gemeinschaftsraum der Arbeiter jeden Morgen vor dem offiziellen Wecken die Eucharistie. Nach zwei Wochen kommt genau im Moment der Wandlung ein deutscher Wachposten in den Raum. Er meldet die Angelegenheit dem Fabrikdirektor Marcus, der den Verstoß aber unter der Bedingung nicht meldet, dass Dillard sich politisch neutral verhält und seine Pflichten als Arbeiter erfüllt. Wenige Wochen später, am Weihnachtstag, feiert der Franzose mit fast 300 französischen Zwangsarbeitern aus der Umgebung eine Festmesse. Er organisiert außerdem ein Mitternachtsessen und ein gemeinsames Frühstück, zu dem jeder etwas von seinen Lebensmittelmarken beisteuert.
Der Untergrundpriester entfaltet eine intensive apostolische Tätigkeit, besucht in seiner Freizeit alle erreichbaren französischen Arbeiterlager, in denen rund 3000 junge Männer wohnen, und schart knapp drei Dutzend Helfer um sich, um mit ihnen Sonntagsmessen und Reflexionskreise vorzubereiten. Dillard veranstaltet außerdem Exerzitien und Gesprächskreise für andere Untergrundseelsorger. Als er einmal nicht weit von Wuppertal einen von ihnen trifft, sagt er zu ihm: „Ich glaube, die Hälfte unserer Arbeit besteht darin, einfach da zu sein und ständig zur Verfügung zu stehen“. Mitunter trifft er Landsleute, für die seine Predigten so etwas sind wie Versicherungspolicen, die Dillard ihnen zum Schutz ihres Seelenheils verkaufen will. Einmal sagt der Jesuit einer Gruppe von Arbeitern: „Viele von euch haben wahrscheinlich nie einem Priester die Hand gegeben, ehe sie mich kannten, und ihr wart sehr erstaunt, als ihr gemerkt habt, dass ich arbeite wie alle anderen“. Victor Dillard gibt sich große Mühe, praktizierende Christen zu finden. Es gibt sie vor allem unter der christlichen Arbeiterjugend und den Pfadfindern.
Die Verhaftung
Im Januar 1944 wird der Jesuit von der Gestapo, der er verdächtig erscheint, verhört. Weil sie aber nichts von seiner priesterlichen Illegalität ahnt, bleibt er unter Überwachung in Freiheit. Er kann in diesem Monat Messen in Velbert, Solingen und Sonnborn feiern. Tag für Tag verstößt er weiter gegen ein Dekret des Chefs des Reichssicherheitshauptamts, Ernst Kaltenbrunner. Als der erfahren hatte, dass die französische Kirche getarnte Priester nach Deutschland einschleust, verbot er persönlich jegliche seelsorgerischen Aktivitäten für Zwangsarbeiter. A Osterfest feiert Victor Dillard noch vier Messen. Donnerstags darauf, am 14. April, wird er verhaftet, nach dem der zivile Lagerführer von Siller & Jamart ihn denunziert hat. Er kommt ins Polizeigefängnis Bendahl, nach den Worten damaliger Insassen „ein Knast wie zu Napoleons Zeiten“, aus dessen Folterkeller Schmerzensschreie nach oben dringen. Helene Hebbecker hält weiter Kontakt zu ihm und kümmert sich um seine Wäsche. Auf manchmal winzigen Papierfetzen gelangen nach ihren Besuchen Kassiber nach draußen. An seinen Landsmann Jacqes Fauvel († 1990), der sich um kranke Franzosen kümmert, kritzelt Dillard am 12. September beispielsweise die Botschaft „Mein lieber Jaques, ich bin immer noch hier, übermorgen fünf Monate. Es ist zum Verrückt werden“. Eine kleine Erleichterung bringt die Erlaubnis durch einen neuen Wärter, im Korridor manchmal ein paar Schritte zu gehen, Doch im November erreicht Victor Dillard die letzte Station seines Leidensweges, das KZ Dachau. Helene Hebbecker, die 1953 als Schwester Hegenhild in den Orden eintreten wird, holt die zurückgelassenen Habseligkeiten des Priesters im Gefängnis ab. Sie entdeckt ein Schriftstück mit dem Titel „Die Ehre, Arbeiter zu sein“, in dem Dillard auch dies festgehalten hat: „Es musste sein, dass Christus kam und sich zum Arbeiter machte und sich inkarnierte in der eucharistischen Materie, damit die Materie besiegt und die materielle Kommunion eine Kommunion der Liebe wurde“.
Ankunft in Dachau
Der junge Jesuit Jaques Sommet empfängt Victor Dillard, der als einziger Neuzugang mit zwei Wächtern gekommen ist, am 28. November in Dachau. Sommet wird sich später erinnern, der Andere habe geglaubt, Deutschland zu kennen. In Wuppertal hatte der Untergrundpriester auf die Mitteilung, er komme ins KZ, spontan geantwortet: „Es kann nicht schlimmer sein als hier“. Im Quarantäneblock, in den er als erstes kommt, merkt Dillard nun, dass er viel stärker geschwächt ist, als er ahnte, und nicht nur physisch. Hinzu kommt quälender Hunger bei gezielter Mangelernährung. Auch Edmond Michelet, der spätere Minister mehrerer französischer Regierungen, war in Dachau sein Kamerad und stand ihm in der letzten Phase seines Lebens bei. Sommet bringt bringt Dillard manchmal ein Stückchen Brot oder eine Kartoffel, obwohl das strengstens verboten ist. Die beiden Männer werden Freunde, bis Jaques Sommet in eine andere Baracke verlegt wird. Eine Fügung bewirkt jedoch, dass der Jesuitenpater Michel Riquet, ein alter Weggefährte Dillards, aus Mauthausen nach Dachau kommt. Edmond Michelet besucht eines Tages die beiden Kameraden mit einer Blechdose, in der einmal Halspastillen waren. Doch nun ist sie ein Tabernakel. Victor Dillard kann zum ersten Mal seit der Gefangennahme wieder die Kommunion empfangen.
Tod nach sechs Wochen
Die Nachwirkungen der Polizeihaft und die unmenschlichen Zustände im KZ bewirken allerdings bald, dass in einem Bein eine schwere Veneninfektion ausbricht. Er wird in das „Revier“ verlegt, die Krankenstation, die für viele schon die Vorstufe zum Tod war. Ein Pfleger begrüßt ihn dort mit den Worten „In zwei Tagen bist Du verreckt“. Obwohl es ihm größte Mühe macht, musst er sich in ein Etagenbett im „dritten Stock“ quälen. An Heiligabend, seinem 47. Geburtstag, sagt Victor Dillard zu Michel Riquet: „Ich hoffe, dass ich von hier noch einmal wegkomme, aber wenn ich bleiben muss, war das von Anfang an so vorgesehen“. Kurz darauf fügt er hinzu: „Ich opfere mein Leben auf für die Kirche und für die Arbeiterklasse“. Sein Fieber steigt. An Silvester erreicht es 40 °C. Mehrmals muss der Kranke Bluttransfusionen bekommen. Am 9.Januar 1945 hat er nicht mehr die Kraft, die Messgebete zu sprechen. Die Ärzte eröffnen ihm, sie möchten ein Bein amputieren, um sein Leben vielleicht zu retten. Dillard stimmt zu. Am Freitag, dem 12 Januar wird operiert, nachdem Dillard die letzte Ölung empfangen hat. Doch alles ist vergebens. Abends gegen acht verliert der Patient das Bewusstsein. Um 8.55 Uhr wird die Atmung schwächer. Fünf Minuten später stirbt Victor Dillard. Edmond Michelet hält bis zuletzt bei ihm die Wache.
Tiefe Bestürzung
Der Arzt Dr. Pierre Suire wird sich erinnern: „Im Moment seines Todes herrschte in den beiden miteinander verbundenen Räumen, die Zimmer 4 von Block 1 bildeten, völlige Stille, obwohl es dort noch wenige Minuten zuvor, wie so oft, laut gewesen war, da dort die Kranken dicht gedrängt lagen, meist zu zweit pro Bett, mit Ausnahme der Sterbenden. Und man sah, wie sich Körper erhoben und Blicke auf Pater Dillard richteten. Tiefe Bestürzung erstarrte alle Gesichter, die der Grobschlächtigen wie die der Intellektuellen, die der Häftlinge aus dem Westen wie die derjenigen aus dem Osten.“ Vor dem Transport ins Krematorium wird der Leichnam am nächsten Tag mit einem Laken bedeckt auf einer Trage auf dem kleinen Hof zwischen Block 1 und der Leichenhalle auf den schneebedeckten Boden gelegt. Ein halbes Jahr später schreibt Victor Dillards Mitbruder Alfred de Soras über ihn schreiben: „Das Verdienst dieses Priesters, vielleicht sollte man sagen sein einziges Verdienst, war es, authentisch katholisch gewesen zu sein, wahrhaft universell. Die Straße, die ihn von der glücklichen Kindheit . . . bis zum Tod geführt hat, hat das Universum durchmessen. Nichts ist dieser Nomade auf seinem Weg gesehen hat, ist ihm fremd geblieben, die Kunst, die Technik, die Philosophie, die Poesie, die Musik, die Sprachen, die Menschen, die Seelen, die Freude, das Leiden, die Jugend, das Martyrium – alles hat er in Vollendung geliebt“.
Ehrungen
Nach dem Krieg wurde Victor Dillard in Frankreich posthum zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. In Blois sind eine Straße und eine Schule nach ihm benannt. 1949 wurde sein Name im Panthéon in die „Liste der 197“ aufgenommen, einer Gruppe von Schriftstellern, die infolge des Zweiten Weltkriegs oder in der Deportation ums Leben kamen. Die französische Post gab 1997 zu Dillards Ehren eine Briefmarke heraus. Die Stiftung Fondation Victor Dillard hat sich der Förderung des katholischen Bildungswesens im Département Loir-et-Cher verpflichtet, in dem Blois liegt. Zwei Gedenktafeln erinnern in Vichy an den Priester, eine weitere an der Wand zur Hauskapelle im Krankenhaus St. Joseph, wo Dillard Messen gefeiert hatte, eine Gedenktafel angebracht. An der Wuppertaler Pfarrkirche St. Konrad erinnert ein Bronzerelief an ihn. Darauf sind vier Symbole zu sehen. Die feingliedrige Pflanze symbolisiert die geistige Beweglichkeit Dillards, der Kelch steht für sein leidenschaftliche Ausübung des Priesteramtes, die Lüsterklemme für seine Arbeit als Elektriker und das Kreuz für den Tod in Dachau. Am 13. Dezember 2025 wird Victor Dilllard als einer von 50 Märtyrern aus dem Zwangsarbeitsdienst in Deutschland seliggesprochen.